Aktuelles
Manfred Koch - Stahlplastiken
Textfragmente, Anmerkungen zum ästhetischen Verständnis
Meine Objekte basieren nicht auf einem bestimmten kunsttheoretischen Hintergrund und folgen keiner historischen oder aktuellen Kunstrichtung.
Ich gehe möglichst gedankenlos vom Material aus und komme, wenn es gut läuft, zu für mich zufrieden stellenden Lösungen. Zugleich bemerke ich jedoch während und nach der Arbeit fast immer Bezüge zu anderen Künstlern und Kunstwerken. Das stört mich überhaupt nicht.
Vielleicht ist alles, was ich mache nur eine aktive Form meiner Kunstwahrnehmung bzw. die handelnde Aneignung von Kunst.
So fiel mir beispielsweise erst mit der Titelfindung von „Wer hat Angst vor Rost, Rot und Blau“ (2011) der Bezug zu Barnett Newman auf.
Wer hat Angst vor Rot, Rost und Blau, 2011
Die zwei häufigsten Fragen zur Kunst sind die naive „Was stellt das denn dar?“ oder die anspruchsvolle „Was will uns der Künstler damit sagen?“. Beiden Fragen weiche ich möglichst aus, weil ich nichts erklären will und oft auch nicht kann.
Einige Objekte haben zwar figürlichen Bezüge, ich lasse sie aber bewusst anatomisch uneindeutig.
Die gegenstandslosen Arbeiten haben keine beabsichtigte Aussage, keinen kritischen Realitätsbezug und keine erbauliche Botschaft. Nach einiger Zeit fielen mir jedoch rückblickend thematische Schwerpunkte auf. So habe ich z. B. viele Pärchen. Das scheint mich zu beschäftigen.
Schreihals und Großmaul, 2012
Diesen kunsthistorisch nicht weiter fundierten Begriff hat ein Freund von mir geprägt, um alles Nette zu kennzeichnen, was so entsteht, wenn man ungehemmt mit den Materialien assoziierend umgeht.
Allzu leicht entstehen dann Objekte, die bis ins kleinste Detail der phantasievollen Verfremdung ihres figürlichen Vorbilds folgen. Das kommt auch allgemein gut an.
Ich bin jedoch nur dann langfristig zufrieden, wenn ich ein Moment der Verstörung einfügen und die konstruktiven Elemente auch formal in Spannung versetzen kann.
Strichmännchen, 2012
Abstraktion
Einige meiner Objekte haben keinen figurativen Bezug. Im wörtlichen Sinne sind sie aber auch nicht abstrakt, sondern gegenstandslos. Ich versuche, die einzelnen Elemente bildnerisch in Beziehung zu setzen.
Das ist nicht einfach, wenn ich ein stimmiges Ergebnis erzielen will.
Zum einen kann ich Richtig und Falsch unterscheiden und benennen, zum anderen ist die Konstellation einfach stimmig oder auch nicht, ohne das ich das sofort begründen kann.
An der Rampe, 2016
Figuration
Formale Beziehungen herzustellen ist eher anstrengend. Figuren entstehen zu lassen, macht eher Spaß.
Deshalb nehme ich vermeintlich fertige figürliche Objekte aus der Werkstatt mit nach Hause und lasse sie einige Zeit lang auf mich wirken.
Erst wenn sie mir auch formal stimmig erscheinen und mir ihre Betrachtung noch immer Spaß macht, erkläre ich sie für fertig.
Paris zögert, 2014
Dekodierung
Bildnerische Objekte lassen sich verstehen und genießen, wenn man über die hierzu notwendige künstlerische Bildung verfügt. So etwa lautet der aktuelle Stand der ästhetischen Theorie.
Meine Objekte beanspruchen diese Voraussetzung nicht. Sie sind zwar nicht ohne Kunstbezug entstanden, gehen aber mehr von der Alltagswahrnehmung aus und irritieren diese. Ich freue mich, wenn sich aus dieser Spannung beim Betrachter ein eigenes Verständnis entwickelt.
Ästhetische Bildung kann hier vielleicht helfen, ist aber keine Voraussetzung.
Um Kopf und Kragen, 2012
Reduktion
Eine Zeit lang habe ich meine Objekte schon bei ihrer Entstehung in figürliche und gegenstandslose getrennt.
Jetzt interessiert mich zunehmend, wie viel man bei einer Figur weglassen oder vereinfachen kann, bis die Grenze zur Gegenstandslosigkeit fast erreicht ist.
Auf welcher Seite der Betrachter sein möchte, ist ihm überlassen. Bei meinen eigentlich gegenstandslosen Objekten kann ich ein „Das sieht aus, wie…“ ohnehin nicht vermeiden.
Bogen an Streckung (Zweiohrhase), 2013
Kreisläufe
Zunächst scheinen die gegenständlichen Details einiger Objekte (Augen, Füße, Krallen, Zähne usw.) der visuellen Vorstellungskraft seines Herstellers zu entspringen. Man beschreibt diese Verwendung von Formähnlichkeiten in der Kunst auch als Verfremdung.
Aber in einigen Fällen – besonders bei Werkzeugen und Geräten – geschah diese kreative Umformung schon viel früher. Beim Maulschlüssel, bei Zangen u. ä. beispielsweise standen zu ihrer Entstehung und Entwicklung mit Sicherheit auch Tiermäuler Pate.
Dieser Bezug kehrt nun in meinen figürlichen Objekten zum Ursprung zurück. Die Hegelsche Dialektik lässt grüßen.
Aus dem Schneider, 2014
Archäologie
Bernhard Luginbühl hat seine Arbeit auch als „künstlerische Archäologie“ bezeichnet. Das trifft in doppelter Weise auf den Umgang mit Eisen zu. Zum einen wird es zunehmend durch andere Werkstoffe ersetzt, zu anderen werden einige Handwerkstechniken immer bedeutungsloser.
Die handgeschmiedete Werkzeuge, Geräte und Baubeschläge landen auf dem Schrottplatz. Ihre handwerklichen Bearbeitungsspuren sind ästhetisch aber besonders reizvoll: Funktion und Ornament, Geschichte und Mode und vor allem die Geschicklichkeit der Handwerker spiegeln sich in den Metallobjekten wieder.
Sie sind in den Umgestaltungen aufgehoben und machen in nicht unwesentlichem Maße ihren Reiz aus – schon wieder Hegel.
Flatiron-Buildings, 2017
Phantasie
Am Anfang meiner Objekte steht selten eine genaue Vorstellung eines Endproduktes. Ich zeichne auch fast nie Vorentwürfe. Es scheint eher so, als läge der Anfang des Prozesses im Reiz des Materials und dieser würde sich – teilweise auch auf Umwegen – zu einem Objekt hin entwickeln.
Ich folge daher weniger meiner vermeintlichen Phantasie oder Kreativität, sondern versuche eher vorschnelle und meist konventionelle gegenüber auch mich überraschenden Lösungen auszublenden.
Zugleich entscheide und handle ich selbständig. Vielleicht ist das mit dem Begriff des „bildnerischen Denkens“ gemeint.
Gewehr bei Fuß, 2014
Oberflächen
Bei einigen meiner Skulpturen steht das verwendete Material im Vordergrund. Insbesondere der Grad des Verfalls bei Schrottteilen drückt sich in den Strukturen oder Texturen der Oberflächen sehr anschaulich aus.
Meine ersten Objekte ließ ich möglichst so, wie ich sie vorgefunden hatte. Nur der gröbste Rost und Schmutz wurde entfernt. Nach und nach stellte ich fest, dass ich die Vielfalt an oberflächlichen Ausdrucksmöglichkeiten durch Bearbeitungen wie Schleifen oder Bürsten noch steigern konnte.
Ganz oben befinden sich Schmutz und Rost, darunter liegen manchmal Reste von Farbschichten und noch tiefer stößt man auf eine dunkle, oft vernarbte Stahloberfläche. Zum Schluss kommt das metallisch glänzende Eisen hervor. Man kann diese Oberflächen wie landschaftliche Erosionen sehen und vor allem begreifen.
Dieser Vergleich ist aber keine äußerliche Analogie mehr: Ich dringe wörtlich in die Geschichte des verwendeten Materials ein und lege wie ein Geologe seine natürlichen Verfallsstufen frei – künstlerische Geologie.
Bonediggers, Bonediggers…, 2017
„Das muss einem erstmal einfallen!“ ist eine häufige Reaktion auf meine Objekte. Der Einfall, woher auch immer, scheint somit das Markenzeichen für den Wert eines künstlerisches Produkts zu sein. Fällt dem Künstler nichts Besonderes ein, ist das Ergebnis damit auch weniger wert. Der Warencharakter der Kunst lässt grüßen. Meine Einfälle entstehen aber nicht im freien Raum und mich küsst auch keine Muse. Sie haben alle ihren materiellen oder ästhetischen Ausgangspunkt und gehen einen kleinen Schritt darüber hinaus. Dieser Schritt muss mir aber erstmal einfallen.
O Captain! My Captain, 2019
Prozess
Meine Objekte sind nicht das Ergebnis konzeptueller Vorüberlegungen. Ich beginne meine Arbeit immer mit dem Material. Der Ausgangspunkt sind meist ein oder zwei konkrete Gegenstände mit spannungsreichen Formeigenschaften. Im weiteren Arbeitsprozess können dann noch neue Materialien hinzukommen oder wieder verschwinden, selbst die Ausgangsobjekte. Picasso sagte: „Ich suche nicht, ich finde“. Finde ich auch.
Linientreu, 2019
Weltfrieden
Mit gelingt es nicht, meine Objekte direkt auf die großen Fragen der Welt zu beziehen. Das ist bestimmt ein echtes und tiefes Bedürfnis vieler zeitgenössischer Künstler. Ich verbildliche keine Fragen oder gar Antworten zur aktuellen Weltproblematik. Mir fällt dazu bildnerisch nichts ein. Mir erscheint die „contemporary-art“ trotz der Dringlichkeit der dort verhandelten Problematiken als Beschränkung meiner unmittelbaren Ausdrucksmöglichkeiten, vielleicht sogar als eine Form von ideologischem Zwang.
Flagge zeigen, 2019
Entgrenzung
Innerhalb der Bildenden Kunst, zwischen den Künsten und auch zwischen Kunst und Realität verschwimmen seit einigen Jahren die Grenzen. Readymades, Installationen oder Performances sind hierfür gute Beispiele dieser Entgrenzung der Kunst. Ich beschränke mich weitgehend auf das Material Stahl und meine Objekte sind häufig Kleinplastiken, die man bequem nach Hause tragen und dort aufstellen kann. Auf Grenzen bin ich dabei bisher noch nicht gestoßen…
Ab in die Tonne, 2022
Fehler
Meine Skulpturen sind fehlerhaft. Zum Einen sind sie trotz meiner Bemühungen erkennbar handwerklich optimierbar und somit nicht perfekt. Zum Anderen zeigen sie Spuren meiner ästhetischen Umentscheidungen. Im Herstellungsprozess erweisen sich einige meiner „Vor“stellungen bisweilen als spannungsarm, langweilig oder nicht zielführend. Die entsprechenden Änderungensspuren lasse ich dann manchmal sichtbar. Das ist sicher kein Fehler.
Paku, paku, 2019
Form follows Funktion
Das ist die Goldene Regel modernen Designs. Demnach müsste die Auswahl und Kombination meiner Formelemente sich aus einer bildnerischen Aussageabsicht ergeben. Tun sie aber nicht. Bei meinen Objekten springt oft durch kleine Veränderungen bei der Kombination meiner ausgewählten Formelemente das Ganze in neue, inhaltlich unterschiedliche Richtungen. Zufrieden bin ich, wenn Form und Aussage spannungsreiche Beziehungen ergeben und die Betrachter Deutungen finden, die ich selbst noch nicht kannte.
Hutfüßler, 2019